Leicht gefrustet schauten wir morgens aus dem Fenster – grau, kühl. Aber wir hatten ja auch nicht wirklich erwartet, in Neuseeland dauerhaft richtiges Sommerwetter zu finden. Also packten wir tapfer unsere Sachen, stiegen ins Auto und fuhren los.
Die Inland Scenic Route 72 führte uns zunächst lange Zeit durch die Ebene der Canterbury Plains. Und es wurde immer düsterer, bei inzwischen nur noch 11°! Überall dichte Baumreihen, die als Windbrecher dienen sollen. Und die Orte haben bezeichnende Namen wie “Windwhistle”.
Allerdings war der sonst allgegenwärtige Nor’Western wohl anderweitig beschäftigt, es war fast windstill.
Die Rakaia Gorge bot Gelegenheit, sich mal kurz die Füße zu vertreten. Eine vor allem bei Architekten berühmte Brücke überspannt einen Arm des zweigeteilten Flusses. Die 1882 erbaute Eisen-Brücke hat eine ungewöhnliche Konstruktion.
Und sie überspannt einen Fluss, der die unglaublichste Farbe hat: Eine Art Eisbonbonbon-Blau! Trotz des trüben Tages leuchtete der Fluss förmlich – und NEIN – ich habe hier kein bisschen nachgeholfen!!!
Ein Stück oberhalb der Brücke hatte man einen eindrucksvollen Blick in die Schlucht und auch auf die andere Seite, Richtung Brücke.
Hier sieht man in der Mitte rechts die andere Brücke, denn der Fluss wird durch eine kleine felsige Insel geteilt. Im Frühjahr, wenn Schmelzwasser das Flussbett komplett ausfüllt, ist die Situation sicher weniger friedlich!
Wir fuhren weiter, erneut durch völlig flaches Land. Kilometerweit pflügt die Straße schnurgerade über die Ebene. Riesige Rinderherden, oft mehrere hundert Tiere – kein Wunder, dass Rindfleisch hier so billig ist! Ab Geraldine wurde es langsam hügelig, dann schlängelte sich die Straße in wilden Kurven immer höher.
Auf ca. 700 m Höhe waren wir im “Mackenzie Country” angekommen , benannt nach einem (angeblichen) Viehdieb, der um 1850 mehr als 1200 Schafe gestohlen haben soll. Schuld oder Unschuld wurden nie bewiesen, er kam schließlich frei, und irgendwie hegte man wohl eine gewisse Bewunderung für ihn, sonst würde das Land nicht heute noch seinen Namen tragen.
Das Viedieb-Land klaute so allmählich auch die dunklen Wolken. Stück für Stück wurde es blauer.
Und als die Southern Alps in Sicht kamen, war es, als hätte man den Vorhang aufgezogen:
Es wurde bald noch blauer – auf über 900 m Höhe lag der Lake Tekapo vor uns.
Die Farbe so absolut unwirklich, man hatte das Gefühl, eine Kitschpostkarte anzuschauen. Gletscherabrieb ist für dieses Eisblau verantwortlich, der Effekt ist schlicht überwältigend.
Auf einer kleinen Anhöhe steht eine winzige Kapelle, die ein echter Touristenmagnet ist – es war praktisch unmöglich, keine chinesischen Touristen mit aufs Bild zu kriegen- es kam ein Bus nach dem anderen an!
Statt eines der üblichen Buntglasfenster hat die Kapelle direkt hinter dem Altar ein schlichtes Glasfenster – der Ausblick auf See und Alpen ist so grandios, dass man keine Glaskunst braucht, um in andachtsvolle Stimmung versetzt zu werden – sofern nicht gerade ein dämlicher Tourist sich die Nase an der Scheibe platt drückt.
Der Küster achtet streng darauf, dass im Inneren nicht fotografiert wird, denn die Kirche ist in seinen Augen eine Andachtsstätte, die geachtet und nicht von handy-bewaffneten Touristen überrannt werden soll. Vor allem Selfies vor dem Fenster sind ihm ein Dorn im Auge – einem kleinen Plausch war er aber nicht abgeneigt, denn offenbar wird er ansonsten meist ignoriert oder sogar angefeindet.
Ich erfuhr, dass der Lilienstrauß am Fenster von der gestrigen Hochzeit stammt, die hier begangen wurde – die Braut erhoffte sich davon besonderen Segen für die Verbindung. Und wir waren uns einig “You feel quite small in such surroundings” – man fühlt sich angesichts solch gewaltiger Natur ganz klein. Und schließlich erlaubte er mir doch ein Foto …
Ausgedehntes Kaffee-Trinken vor dieser Kulisse, einfach die Sonne genießen (inzwischen war es richtig heiß geworden)… Eine neue Base-Cap für mich kaufen (auf dieser Reise hab ich schon eine Kappe und eine Fleecejacke verloren, Dieter ist seine Jacke ebenfalls los – beide am Flughafen in Christchurch), mit einem Silberfarnzweig vorne drauf, dem inoffiziellen Logo Neuseelands.
Dann ging es weiter, die Berge jetzt immer im Blick.
Es dauerte nicht lange, da hatten wir blaues Wunder No. 2 – den Lake Pukaki – vor uns.
Genauso blau wie der Lake Tekapo, und mit etwas Glück sieht man den Mount Cook (im oberen Bild etwa hinten in der Mitte) ohne Wolkenmütze – das hatten wir aber zu dieser Zeit nicht. Es sah auch nicht so aus, als würde sich schnell was ändern, also fuhren wir nach Twizel in unser heutiges Quartier.
Twizel ist ein etwas merkwürdiger Ort. 1968 wurde eine Wohnsiedlung für das Wasserkraftprojekt am Oberlauf des Waitaki River gebaut und sollte nach Projektabschluss wieder aufgegeben werden. 1983 erkämpften die Einwohner jedoch den Fortbestand des Ortes.
Anders als in den meisten Orten Neuseelands wurde hier eine Art Zentrum mit Läden, Schule, einem Park usw. errichtet und die Wohngebäude außen herum in gewundenen Straßen gebaut. Das macht das Ganze irgendwie unübersichtlich, ist aber mal was anderes.
Das Aspen Court Motel war in dem winzigen Ort schnell gefunden – es liegt direkt vis-á-vis vom Golfplatz, der sich wiederum mitten Dorf befindet. Ein großes, helles Zimmer, wie hier üblich mit Kochgelegenheit und kostenlosem WLan.
Ein kurzer Gang durchs Dorf, um die Lokalitäten zu checken – aber was es hier so an Essensangeboten gab, reizte uns nicht wirklich.
Nicht weit entfernt, an einem weiteren kleinen See, gibt es eine Lachsfarm, die sich rühmt, wegen des sauberen Wassers hier in fast 1000 m Höhe ohne Antibiotika und sonstigen unguten Mittelchen auszukommen. Die steuerten wir an und kauften ein großes Stück frisch geräucherten Lachs. Der Dorfladen bot Kartoffeln, Tomaten und Gurken – und wieder mal hatten wir die Zutaten für ein hausgemachtes, aber sehr leckeres Abendessen beisammen.
Weil die Abendstimmung so unglaublich schön war, fuhren wir nochmal zurück zum See – vorbei an Kanälen, die in der Sonne glitzerten.
Die Gegend hat eine sehr trockene und saubere Luft, deshalb kann man hier in klaren Nächten einen der eindrucksvollsten Sternenhimmel weltweit erleben. Wir hatten Glück – es war praktisch wolkenlos und noch nie zuvor haben wir die Milchstraße in so überwältigender Pracht sehen können! Schon alleine deswegen kommen Astronomen aus aller Welt hierher, es gibt mehrere Observatorien.
Frischer Lachs, guter Wein und ein Sternenhimmel zum Träumen – was will man mehr!
Das war unsere heutige Strecke:
Hallo,
schreib doch mal, wann genau ihr in Twizel seid. Es wäre doch nett, wenn wir und dort treffen könnten.
Gruß
Gisbert
Euer heutiger Tag war eine Orgie in Blautönen – ich bin hingerissen von den herrlichen Bildern und beneide euch sehr um eure unglaublich schönen Erlebnisse! Auch das Abendessen klingt mal wieder so delikat, daß ich sehr bedaure, nicht dabeigewesen zu sein 😉
Traumhafte Fotos,beneidenswert…..das Erlebnis