A b l e n k u n g

05. – 07. März 2020

Der erste Blick am Morgen ging zum Handy. 

Kinder und Freunde baten uns per Whatsapp und Mails, doch möglichst bald heim zu kommen, weil sich die Situation in Europa zuzuspitzen drohte. 

Unser Rückflug sollte am 25.03. von Bangkok aus via Zürich nach Paris gehen, dort wollten wir noch eine Nacht bleiben und am 26. März nach Frankfurt fliegen.

Mittlerweile erreichten uns jedoch Zahlen aus Frankreich und Italien, die tatsächlich etwas bedenklich aussahen. Bei dieser Sachlage hielten wir es dann doch nicht für sinnvoll, in Paris zu übernachten. Deshalb ging eine Mail an Swissair mit der Bitte, den Flug ausnahmsweise bereits in Zürich beenden zu dürfen. Von dort aus, so dachten wir, würden wir einfacher nach Hause kommen.

Parallel dazu überdachten wir unsere weitere Planung, denn morgen sollte es ja nach Myanmar, ins Mergui Archipel, weiter gehen. Allerdings hatte Dieter eine leichte Erkältung erwischt. Zwar nichts Dramatisches und völlig ohne Fieber, aber Schnorcheln war mit Schnupfen nicht mehr wirklich angesagt. Auch fliegen wollten wir deshalb lieber nicht – mittlerweile schienen die Gesundheitskontrollen von Tag zu Tag strenger zu werden und man konnte schon mit einem Nieser in Quarantäne landen.

Also wurden der Flug nach Ranong sowie die Unterkünfte in Kawthaung und Dawei storniert. Wir beschlossen, stattdessen noch ein paar Tage in Bangkok zu bleiben und anschließend etwas früher an den Strand zu reisen.

Unser Zimmer im Hilton hatte ich zu extrem günstigen Konditionen mit einem 30%igen Frühbucherrabatt gebucht, zudem hatten wir ein kostenloses Upgrade auf ein Executive Zimmer bekommen, deshalb war ich auf eine heftige Preiserhöhung gefasst, als ich mich nach einer Verlängerung erkundigte. Aber erfreulicherweise verlängerte man das Zimmer zu exakt den selben Konditionen wie bisher, auch das Upgrade wurde beibehalten.

Danach nahmen wir uns vor, Corona etc. erst mal zu vergessen und uns ein bisschen abzulenken. Recht entspannt erkundeten wir eine bisher unbekannte Ecke in unserer Nachbarschaft: Talad (Talat) Noi. Obwohl wir sicher schon x-Mal hindurch gelaufen waren, hatten wir uns diese Ecke von Chinatown noch nie näher angesehen.

Mit der Fähre geht’s über den Fluss, dann am River City Komplex vorbei in eine kleine Gasse, die in einen kleinen Platz mündet. Ob das in der Mitte ein reines Kunstobjekt ist oder eine verfremdete Straßenlaterne, ist nicht so recht klar – aber es ist ein Hinweis auf das, was dieser Stadtteil bietet.

Talad Noi (= Kleiner Markt) ist einer der ältesten Teile Chinatowns. Hier findet man zum einen die Sieng Kong Zone, wo tonnenweise Altmetall, vor allem Fahrzeugteile, gehortet und verhökert wird, es ist aber auch eine quirlige Künstlerkolonie.

Auf dem Platz um das Laternen-Kunstwerk dösen Tuktuk-Fahrer in ihren Fahrzeugen, eine farbenfrohe Wandmalerei wirbt für Thaifood.

Ein paar Meter weiter biegt links ein schmales Gässchen ab, das ins Herz von Talad Noi führt. Spätestens hier merkt man, dass das kein normaler Stadtteil ist, die Gasse keine normale Gasse. An den Wänden der einen Seite – laminiert und sorgfältig aufgehängt –  eindrucksvolle Bilder verschiedener Fotografen, die andere ziert  Wandmalerei.




Plastikplanen überdachen die schmale Gasse und schützen die bunten Malereien vor Sonne und Regen. Hinter der gallerieartigen Gasse beginnt das Wohnviertel. Fast alle Häuser sind fantasievoll verziert – und niemand trägt hier eine Gesichtsmaske!






Immer weiter dringen wir ein in das Gewirr der schmalen Gässchen. Vorbei an improvisierten Verkaufsständen und ärmlichen Holzhäuschen.

Am Ende des Gässchens landen wir am Fluss. Dort steht ein kleiner chinesischer Tempel und ein Schrein, den wir von der Dachterrasse des Hilton gut sehen konnten.

Eine Ecke weiter hängt an einer Holztür ein Schild – Baan Rim Naam.

Wir sind neugierig, gehen durch die Tür und finden ein kleines Paradies!

Direkt am Fluss befindet sich hier ein leicht verwilderter, aber wunderschöner Garten, ein kleines Café und eine Manufaktur, wo Töpferwaren, Ledertaschen und -jacken hergestellt und auch Bilder, Kunsthandwerk und Antiquitäten gesammelt und zu kleinen Preisen verkauft werden.

Selbst an einem heißen Tag ist es wunderbar schattig und kühl auf der überdachten Terrasse.

Mit der jungen Frau hinter der Theke komme ich ins Gespräch und erfahre, dass das Baan Rim Naam das letzte existierende Lagerhaus in Chinatown ist, ein  über 200 Jahre alter ausgedehnter Gebäudekomplex. Eine vierköpfige Gruppe, die vor einigen Jahren das Projekt Nang Gin Kui ins Leben gerufen hatte – Pop-up Dining im privaten Rahmen – hat das Anwesen übernommen und seit April 2018 behutsam restauriert.

Jetzt bietet es Künstlern Raum, wird aber auch für Events genutzt – und man kann hier nachmittags bei einem Tee oder kühlen Getränk den Tag verträumen oder abends den Sonnenuntergang mit einem Cocktail genießen.

Gleich um die Ecke geraten wir in einen heftigen Streit – zwei düster gekleidete Gestalten prügeln sich. Dass hier ein Film gedreht wird, ist erst auf den zweiten Blick erkennbar! Dann aber sind wir fasziniert und schauen den Aufnahmen eine Weile zu. Nur Fotografieren sollte man die Darsteller bitte nicht …


Wegen der Dreharbeiten ist auch ein Kleinod unerwartet zugänglich. Hinter einer rot lackierten Tür verbirgt sich ein prachtvolles, mehr als 230 Jahre altes chinesisches Anwesen – das Sol Heng Tai Mansion.



Das Schwimmbecken wird übrigens zum Tauchen genutzt – in dem Haus befindet sich eine Tauchschule!

Wir streifen weiter, begegnen immer wieder der Film-Crew, müssen deshalb auch immer wieder stehen bleiben, um die Dreharbeiten nicht zu stören. Gelegenheit, sich umzuschauen, einen Freiluft-Kleiderschrank zu bewundern oder auch einen malerisch vor sich hinrostenden Fiat 500.


Auch ein weiterer chinesischer Tempel ist heute Drehort. Der Saan Jao Joe Sue Gong Tempel mit seinen detaillierten Wandreliefs ist ein Kleinod und einer der ältesten Tempel der Hokkien-Chinesen in Bangkok.


Vorbei an weiteren Wandmalereien und farbenfrohen Häusern kommen wir zurück zur größeren Soi Wanit.


Damit sind wir im Bereich von Eisen und Alu – hier gibt es für Bastler nichts was es nicht gibt! Auch wenn manches Fahrzeug wohl nicht mehr zu retten ist …

Aber wo noch was geht, wird geschraubt.


Langsam schlendern wir zurück – eng ist es hier überall, malerisch sowieso.




Auch der Blick nach oben lohnt sich!

Angenehm abgelenkt und entspannt kommen wir wieder zurück ins Hotel. Kaffee in der Lounge, ein Stündchen am Pool, Mails checken …
Und sofort ist es vorbei mit der Entspannung! Von der Swiss kommt eine lapidare Antwort auf meine Anfrage:

Vielen Dank für Ihre Anfrage bezüglich Ihrer Buchung mit der Referenz U… Wir bitten Sie, Ihr Reisebüro zu kontaktieren, weil Ihre Flüge sich geändert haben. Sie fliegen nun über Frankfurt und nicht Zürich.  Wir hoffen, dass wir Ihnen mit dieser Information behilflich sein konnten. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.“

Im ersten Moment sind wir einfach nur wütend – wieder mal wurden wir von der Lufthansa-Gruppe auf eine andere Route umgebucht, ohne dass man es für nötig gehalten hätte, uns das mitzuteilen. Da fragt man sich schon, weshalb man bei der Buchung (die übrigens direkt bei der Lufthansa erfolgt war) eigentlich Email-Adressen und Handy-Nummern zwingend angeben muss!

Dann begannen wir zu überlegen, ob man das nicht nutzen könnte, um direkt in Frankfurt auszusteigen – denn auch der neue Flug ging ja bis Paris. Schließlich war der Umbuchungsanlass, dass die Swiss den Anschlussflug von Zürich nach Paris wegen Corona gestrichen hatte, das sollte uns doch Grund genug geben, ebenfalls NICHT dorthin fliegen zu müssen!

Also eine erneute Mail, dieses Mal an die Lufthansa. Es sollte eine von vielen werden – keine einzige wurde bisher anders als durch die lapidare Mitteilung, man habe die Mail erhalten und an die zuständige Abteilung weitergeleitet, beantwortet. Damals war uns allerdings noch nicht wirklich klar, dass die Lufthansa bereits begonnen hatte, zahlreiche Flüge zu streichen und deshalb ein weltweites Panikorchester spielte.

Zunächst trösteten wir uns damit, dass wir jetzt endlich mal im Oberdeck eines A380 fliegen würden, außerdem schneller und einfacher nach Hause kommen würden. Das mit dem Aussteigen in Frankfurt, versicherten wir uns, würde schon irgendwie klappen …

Und dann konzentrierten wir uns darauf, die Flüge nach und innerhalb von Myanmar umzubuchen und ein Hotel in Yangon für eine Nacht zu finden. Am 9. März wollen wir zuerst nach Yangon fliegen und einen Tag später nach Thandwe, an den Ngapali Beach.

Mal sehen, ob das so klappt!

3 Kommentare zu “A b l e n k u n g

  1. Mir geht’s genauso. Ich bin gespannt, wie ihr rausgekommen seid aus Asien.
    Ach, alles wird nicht mehr so sein wie es war.

  2. Ja, dein Bericht ist superspannend 🙂

    Und die heutigen Fotos einfach toll! Ich liebe Chinatown und kenne es ziemlich gut, aber was du uns hier zeigst, ist mir zum großenteils noch unbekannt. Wundervoll malerische Ecken und Winkel hast du da aufgetan…

  3. Du machst das echt spannend 🙂
    Ich habe ein paarmal an Euch gedacht und mich gefragt, ob und wie Ihr wohl nach Hause gekommen seid. Ich bin weiterhin gespannt auf den Bericht. Und freue mich erstmal für Euch, dass es Euch anscheinend gut geht, das ist die Hauptsache.

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