Von den Wahrsagern zu den Fischern

Heute stand uns was eher Unangenehmes bevor – ein Umzug! Bei der Planung fanden wir es eigentlich ganz sinnvoll, unsere 9 Tage zu splitten und einen Teil in Kowloon, den zweiten auf Hongkong Island, in Wan Chai, zu verbringen. 

Im Nachhinein eine blöde Idee …

Zwar dämmerte es mir schon vor der Abreise, dass so ein Umzug nicht wirklich schlau ist, denn man muss ja alles zusammenpacken und verliert locker einen halben Tag. Aber ändern ließ sich das nicht mehr.

Denn während ALLE anderen Hotels der kommenden 80 Tage unserer Reise stornierbar gebucht waren, hatte ich bei der Buchung des Hotels in Wan Chai versehentlich die nicht stornierbare Version angeklickt. Und damit waren wir festgenagelt …

Weil wir trotzdem noch einiges sehen wollten, scheuchte Dieter mich schon früh aus den Federn. Gepackt war größtenteils schon, nach einem ziemlich knappen Frühstück wurde ausgecheckt, das Gepäck erst mal zurückgelassen und dann ging’s in die U-Bahn.

Die Station Tsim Sha Tsui ist ein unterirdisches Labyrinth und dermaßen groß, dass man über lange Strecken mit Laufbändern befördert wird. Aber es ist alles sehr detailliert ausgeschildert, man kann sich kaum verlaufen.

Wir wollten zum Wahrsagertempel, dem Wong Tai Sin Tempel, der mit der Metro gut erreichbar ist und sogar eine eigene Metrostation hat.

Der Hirtenjunge Wong, so die Legende, wurde von einem Unsterblichen in die Kunst des Wahrsagens eingeführt und konnte alle Krankheiten heilen. Heute ist sein Tempel einer der beliebtesten in Hongkong und immer gut besucht. Bei unserem letzten Besuch, an einem chines. Neujahrsfest, war es dermaßen voll, dass man förmlich Platzangst bekam.

Auch heute war hier wieder eine Menge los, etliche Besuchergruppen, einige erkennbar vom Land, stauten sich bereits vor dem Tempel, obwohl es noch früh am Tag war.


Das riesige Areal erstreckt sich über mehrere Ebenen. Kaum hat man die erste Treppe erstiegen, steht man vor merkwürdigen Skulpturen – riesige Tiere in seltsamen Verkleidungen stehen im Halbkreis herum. Wer sich ein bisschen mit der asiatischen Kultur auskennt, weiß gleich, was man hier vor sich hat: Die chinesischen Tierkreiszeichen, jeweils in das gekleidet, was sie symbolisieren.

Da stehen die gefühlvolle Ziege und der kultivierte, belesene Hase, das freiheitsliebende Pferd und der extrovertierte Hahn. Direkt um die Ecke, in einem recht nüchternen Extragebäude, sitzen die Wahrsager, Astrologen und Handleser. Dort herrscht höchste Konzentration …

Weil diese Art der Zunkunftsdeutung Geld kostet und man oft warten muss, bis man dran ist, versuchen es viele anderweitig – mit chim werfen.

Man überlegt sich eine konkrete Frage, dann werden 99 nummerierte Bambusstäbchen (chim) in einer offenen Dose so lange geschüttelt, bis eines davon heraus fällt. Die Bedeutung der Nummer auf dem Stab als Antwort auf die Frage kann in einem Buch nachgeschlagen werden.

Bevor man jedoch die Deutung nachlesen darf, müssen zunächst noch durch die sing pui (halbmondförmige rote Holzstückchen) geklärt werden, ob die Frage überhaupt zulässig war. Zwei Hölzchen werden auf den Boden geworfen und nur wenn eine gewölbte Seite nach oben und die andere nach unten zeigt, wurde die Frage vom Heiligen akzeptiert. Andernfalls muss man eine andere Frage stellen und ein neues Stäbchen heraus schütteln …


Andere belassen es beim reichlichen Verbrennen von Räucherstäbchen und inbrünstigen Gebeten.


Für wieder andere scheint der Hauptzweck des Tempelbesuchs zu sein, möglichst viele Beweis-Fotos zu schießen – Selfies oder Gruppenbilder, Hauptsache, das eigene Gesicht ist drauf!

Trotz des Trubels gibt es Ruhezonen, wo kaum jemand ist. Direkt hinter den Tempeln ist eine kleine Anlage mit Teichen und Pavillons – dort ist es still, es ist fast niemand da und man ist unendlich weit weg von allem.

Schon erstaunlich, wie die Chinesen es schaffen, mitten in einer Multimillionenstadt, umgeben von Wolkenkratzern, derartige Ruhepole und Kraftzentren zu schaffen und zu bewahren.

Wir schlendern langsam wieder hinaus, werfen noch einen kurzen Blick auf die Devotionalien, die vor dem Eingang angeboten werden.

Rot und Gold, die glücksbringenden Farben, dominieren hier.

Unser kleiner Reiseführer enthält einen Vorschlag für einen Stadtspaziergang in Mongkok, den wir als nächstes in Angriff nehmen. Nur – der startet nicht in Mongkok, sondern in Yau Ma Tei! Das merken wir allerdings erst, als wir bereits aus der U-Bahn raus sind. Aber die Entfernung ist nicht sooo groß, wir rollen das Ganze einfach von hinten auf.

Ob’s daran liegt, dass es noch so früh ist oder dass es Samstag ist – es ist nicht viel los hier und viele Geschäfte sind geschlossen. Überhaupt sind wir etwas verwundert über die Schwerpunkte im Reiseführer – dass wir jetzt durch eine kleine Straße gehen, in der ausschließlich Küchengeräte verkauft werden, ist zwar ganz nett, wenn einem ein Topf oder ein Dim Sum Körbchen fehlt – aber soooo toll ist das dann auch wieder nicht.

Bis zum Tin Hau Tempel gehen wir noch – er ist einer der ältesten und der Göttin des Meeres gewidmet. Tin Hau hat es wirklich gegeben, sie war eine Fischerstochter, 960 geboren und bereits im Alter von 28 Jahren verstorben. Der Legende nach konnte sie aufkommende Taifune und schwere Stürme vorhersehen und bewahrte dadurch unzählige Fischer und Boote vor dem Ertrinken.

Der kleine Tempel wirkt eher unscheinbar, er duckt sich hinter einem gepflasterten Platz förmlich in die Ecke und ist nicht besonders groß. auch hier gibt es wieder Wahrsager und wie immer ist die Luft geschwängert vom Rauch der Räucherspiralen, deren Asche auf die Besucher hinabrieselt.

Inzwischen ist es Mittag geworden, eine Pause ist angesagt und so langsam werden wir fußlahm. Also wieder rein in die Metro, eine Station mit der Bahn gefahren und dann machen wir ein letztes Mal Station in „unserem“ Salisbury YMCA. Die Koffer werden uns ausgehändigt, ein Taxi gerufen – jetzt geht’s rüber nach Hongkong Island – dieses Mal durch den Tunnel.

Es geht alles ziemlich fix und obwohl unser Fahrer kein Wort Englisch spricht, bringt er uns ohne Umwege direkt zum Hotel Kew Green in der Hennessy Road. Es ist noch lange vor der Eincheckzeit um 14 Uhr – aber die nette Dame am Empfang gibt uns trotzdem gleich ein Zimmer im 17. Stock.

Das Zimmer ist – naja … Fast sofort trauere ich dem netten Zimmer im Salisbury nach – denn jetzt ist alles deutlich enger, das Bad so winzig, dass man sich kaum umdrehen kann und überdies riecht es sehr muffig. Die Luftfeuchtigkeit ist offenbar extrem hoch – da nützt auch ein Entfeuchtungs- und Ionisierungsgerät, das im Zimmer steht, nicht viel. Dass genau dieses Gerät ein Feature dieses Hotels ist und im Internet hoch gepriesen wird, hätte mir zu denken geben müssen.

Aber was soll’s – wir sind 1. nur zum Schlafen im Zimmer und 2. sind die Zimmer in Hongkong eben einfach klein.

Koffer abgestellt, das Nötigste ausgepackt – dann ging’s gleich wieder raus. Den Entfeuchter hatten wir vorsorglich auf die höchste Stufe angestellt, die Klimaanlage ebenfalls.

Dieter hatte im Reiseführer den Hinweis auf ein noch sehr ursprüngliches kleines Fischerdorf, Lei Yue Mun, entdeckt, das recht gut mit der Metro erreichbar ist. Dorthin machten wir uns auf – alles ganz easy mit der Octopuscard. Rein in den Zug, einmal umsteigen und dann in Yau Ton aussteigen.

Laut Führer liegt das Dorf ca. 600m von der Metrostation entfernt. Nur – in welche Richtung? Darüber schweigt sich Dumont aus! Zum Glück gibt’s Smartphones mit Maps (ich hatte mir übrigens vor zwei Tagen eine Tourist Simcard mit reichlich Datenvolumen und sogar einem 30$-Guthaben für Auslandsgespräche (zu 0,49$/Minute) bei der Tourist Information geholt – 5 Tage mit 1,5 GB kosten 88HK$, 8 Tage mit 3 GB 118HK$, also durchaus akzeptabel.)

Jedenfalls zeigte Google Maps uns die richtige Richtung und wir stiefelten los. Erst viele Treppen runter, dann einen Hügel hoch – und dann sahen wir den hoch gepriesenen Dschunken-Hafen. Dschunken gab es allerdings kaum, sehr malerisch war er auch nicht, das Ganze wirkte reichlich unübersichtlich.

Eine Fischersfrau steuerte praktisch einhändig ihren Kahn zu einem Boot und kehrte kurz darauf mit zwei Hunden an Bord zurück.

Wir sahen dem Treiben eine Weile zu, dann umrundeten wir das Hafenbecken (wieder ein Taifun-Shelter), um ins Dorf zu gelangen. Aus der Entfernung sah es ganz vielversprechend aus, wir freuten uns auf eine gemütliche Pause auf einer Terrasse zum Meer hin – immerhin hatten wir aus der Entfernung so was ausgemacht.

Die Realität war anders – eine enge Gasse, dicht bestückt mit Seafood-Restaurants, die alle noch nicht auf hatten. Zwar waren die lebenden Vorräte absolut beeindruckend – nur wollten wir die im Moment noch nicht.

Hier gab’s etliches, was wir noch nie zuvor gesehen – geschweige denn, gegessen hatten. Lebende riesige Kalamare, schwarzweiß gestreifte Zebraprawns, gewaltige Spidercrabs, Geoducks bzw. Elefantenrüsselmuscheln (die an gewisse menschliche Körperteile erinnern …) und riesige Fische. Fotografieren war eigentlich nicht erlaubt – und auch schwierig weil sich das Wasser ständig bewegte. Aber ihr bekommt einen Eindruck.

Viel mehr gab’s nicht zu sehen – den Weg bis zum Tin Hau Tempel am Meer ersparten wir uns – leider, muss ich sagen, denn später stellten wir fest, dass das durchaus lohnend gewesen wäre und man von dort einen tollen Blick und noch ein Stück unverfälschte Küste hat.
Aber der Blick in das scheinbar immer enger werdende Gässchen schreckte uns etwas ab.

Deshalb ging’s zurück. Noch was Kühles zu trinken in einem winzigen Café – inzwischen war es schon spät am Nachmittag, also zurück nach Wan Chai.

Dort war das Zimmer inzwischen nicht wirklich besser geworden – zwar bietet das Hotel eine ganze Reihe netter Schmankerl wie ein kostenloses Smartphone mit unbegrenztem Datenvolumen und kostenfreien Gesprächen in eine Reihe von Ländern, darunter auch Deutschland – aber ein schönes Zimmer wäre mir lieber.

Jetzt waren wir aber erst mal richtig hungrig – und da ist man in Wan Chai genau richtig! Wir wohnen mitten in der Kneipen-Meile – und weil Hongkong ja mal britische Kolonie war, gab’s abends in einem netten Pub richtig britisches Essen – Fish’n Chips! Und dazu ein schönes frisch gezapftes Bier, das Ganze am offenen Fenster mit Blick auf das Gewusel der Lockhart Road – kein schlechter Tagesabschluss!

Ein Kommentar zu “Von den Wahrsagern zu den Fischern

  1. Wow – das Meeresgetier, das du da unerlaubter- aber dankenswerterweise (wieso eigentlich darf man das nicht fotografieren?) aufgenommen hast, läßt mich teilweise schaudern, obwohl ich ja eigentlich zu den Leuten gehöre, die (fast) alles essen. Immer wieder erstaunlich, was bei den Chinesen so alles auf die Speisekarte kommt…

    Zu eurem Umzug: Gut, du hättest lieber das alte Zimmer behalten, aber ein kostenloses Smartphone mit unbegrenztem Datenvolumen ist doch auch nicht zu verachten, ich finde das jedenfalls ganz erstaunlich und habe so etwas noch nie erlebt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.